Reisebericht aus Prag und Warschau
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- Kategorie: Nordrhein-Westfalen
- Veröffentlicht am Montag, 16. November 2020 21:11
- Geschrieben von LO NRW
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Reisebericht aus Prag und Warschau (August 2020)
Auf Spurensuche in zwei Hauptstädten
von Kevin Guevara
Prag
An einem Sonntagabend ging es mit dem Flugzeug in die Hauptstadt der ehemaligen ČSSR. Angekommen kaufte ich mir eine 72-Stunden-Fahrkarte für den ÖPNV, wo ich auf eine sehr freundliche Ticketverkäuferin traf, die mir stolz die Abbildungen auf den Geldscheinen der lokalen Währung zeigte. Betont wurde, man sei froh nicht den Euro zu haben. Der Prager Flughafen ist nach dem reaktionären, letzten Präsidenten der Tschechoslowakei und ersten Präsidenten der Tschechischen Republik, Václav Havel, benannt. Um in die Innenstadt zu kommen muss man zunächst den Bus nehmen, außer man kann sich ein Taxi leisten. An der Endstation musste ich in die Metro umsteigen, wie fast alle Fahrgäste. Die U-Bahn-Stationen sind sehr ausgeschmückt und wer einen Vergleich zu westeuropäischen Metros wie in Paris zieht wird sich sicher fragen, worin der Unterschied liegt. Nun diese wurden unter sozialistischen Verhältnissen gebaut und dienten nicht nur dem hauptsächlichen Zweck der Beförderung von Personen, sondern auch um Kunst in den Alltag der Bürger einzubringen, aber ebenfalls als Bunker. Viele Stationen trugen Namen großer sozialistischer Persönlichkeiten, wurden jedoch nach der Konterrevolution umbenannt. Es sei noch erwähnt, dass die Rolltreppen sehr steil sind.
Aber erstmal genug von der Metro. Im Hotel angekommen bemerkte ich vom Fenster aus, dass ich in „guter Nachbarschaft“ untergekommen war. Das Gebäude von „RadioFreeEurope/RadioLiberty“ war um die Ecke. Am nächsten und ersten von drei vollen Tagen in der Stadt besuchte ich alle möglichen Sehenswürdigkeiten wie die Rathausuhr und Burg. Es war gutes Wetter, die Sonne schien und viele Touristen waren trotz Pandemie gekommen. So traf ich spontan eine Kolumbianerin mit der ich diesen und den folgenden Tag verbrachte. Wir warfen einen kurzen Blick auf die bunte John-Lennon-Mauer die voller reaktionärer Phrasen wie „Free Hongkong / Tibet“ war bevor es weiter ging. Auf der Agenda stand auch das mit hoher Wahrscheinlichkeit größte Metronom der Welt. Dieses wurde 1991 auf dem übrig gebliebenen Sockel des 1962 zerstörten Stalin-Denkmals errichtet und soll eine Warnung zur Erinnerung an die Vergangenheit sein. Darum fand viel Vandalismus statt mit Graffitis und anscheinend wird nicht viel Wert auf die Pflege gelegt. Ein Einkaufszentrum namens Kotva, was zu seiner Zeit das Größte im Land war, besuchte ich ebenfalls, denn es handelt sich hierbei um sozialistische Architektur. Als letzte Attraktion ging es nachts auf den Aussichtsturm Petřín, von wo man eine sehr gute Sicht auf Prag hat. Den Hügel auf dem er steht, ist entweder zu Fuß oder mit einer Standseilbahn zu erreichen. Letztere ist inklusive Wagons noch im Originalzustand aus sozialistischen Zeiten. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für viele Straßenbahnen.
Am zweiten Tag standen weitere Sehenswürdigkeiten auf dem Plan und so fing er am tanzenden Haus an. Es sei zu erwähnen, dass man in Prag günstig und lecker speisen kann. Während meines Aufenthalts probierte ich traditionell den Schweinebraten mit Kraut und Knödeln, das Gulasch ebenfalls mit Knödeln und dem Prager Schinken. Zum Nachtisch sei jedem Trdelník empfohlen. Das Bier ist sicher eines der besten weltweit und günstiger als Wasser. Später machte ich einen Abstecher in einen Vorort Prags um die so genannten Paneláks, gemeint sind Plattenbauten, aus der Nähe zu betrachten. Nach einer kurzen Pause zurück im Hotel ging es zu Fuß, in nur 10 Minuten, zu Klement Gottwalds Grab. Dieses war voller Laub, weshalb ich die nächste halbe Stunde damit verbrachte diese letzte Ruhestädte unseres Genossen zu säubern. Der größte tschechische Marxist-Leninist zu Lebzeiten ruht hier seit 1989 in einen Gemeinschaftsgrab mit anderen kommunistischen Politikern. Aber dazu später mehr. Zum Abschluss des Tages besuchte ich den Bruselsky Pavillon im sozialistischen Stil, auch wieder nur von außen, denn er war geschlossen. Am dritten und letzten Tag traf ich mich mit einem tschechischen Genossen. Wir besuchten Franz Kafkas Grab, welches in nur 5 Minuten zu Fuß vom Hotel zu erreichen war und anschließend einen sowjetischen Militärfriedhof, der direkt nebenan liegt. Ein zweites Mal erwiesen wir Gottwald die Ehre und dann ging es zu Fuß zum Nationaldenkmal am Veitsberg.
Auf dem Weg begegneten wir eine Bunkeranlage die man im Rahmen einer Kommunismus-Tour besuchen kann. Anarchistischen Graffiti begegnete man auch häufiger. Angekommen am Denkmal besuchten wir das im Inneren gelegene Museum. Hier lag Gottwald von 1953 bis 1962 einbalsamiert, bis er in Folge der „Entstalinisierung“ (oder wie wir richtigerweise sagen würden: des wuchernden Revisionismus) eingeäschert wurde. 27 Jahre später wurde die Urne aus dem Mausoleum entfernt. Man versucht in diesem Museum krampfhaft ein Bild eines unterdrückerischen Regimes zu vermitteln, wenn auch nicht sehr überzeugend. Der Genosse, dessen Vater bei den Grenzwachtruppen der ČSSR war und ich unterhielten und diskutierten über den realexistierenden Sozialismus in der Tschechoslowakei und die heutige kommunistische Bewegung in Deutschland und Tschechien. Es sei erwähnt, dass die KSČM (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens) heutzutage 15 Abgeordnete in ihrem Land stellt und indirekt an der Regierung beteiligt ist. In der tschechischen Bevölkerung gibt es anscheinend viel Trubel um die sozialistische Vergangenheit. Viele sehnen sich nach der sozialen Absicherung, die geboten wurde. Dennoch sind einige Probleme, die fälschlicherweise dem Sozialismus zugeschrieben werden, wie der Mangel an verschiedenen Konsumgütern, nicht vergessen. Anschließend trennten sich unsere Wege und es ging alleine weiter zum Fernsehturm. Dieser bietet mit einer Aussichtsplattform einen tollen Blick über ganz Prag. Er wurde 1985 in der noch Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik angefangen zu bauen und sieben Jahren später fertiggestellt. Leider blieb nicht mehr viel Zeit und so machte ich mich auf den Weg zum Wenzelsplatz, wo man das Nationalmuseum und das neue Nationalmuseum findet. Letzteres beherbergte früher das ZK der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Praha, so wie die Stadt auf Tschechisch heißt, zählt zahlreiche interessante Museen und Sehenswürdigkeiten, die ich alle bei weitem nicht besuchen konnte, vielleicht wäre das bei längerem Aufenthalt möglich gewesen.
Souvenirs für Familie und Freunde durften natürlich nicht fehlen, dabei hielt ich Ausschau nach Kleinigkeiten aus sozialistischen Zeiten, wurde aber neben einigen Briefmarken nicht wirklich fündig. Für die letzte Nacht bezog ich im Hotel International Quartier. Dieses Gebäude wurde in den 50ern errichtet und erinnert an einen kleinen Warschauer Kulturpalast. Die Tschechen sind meiner persönlichen Erfahrung nach ein zuvorkommendes Völkchen. Auch wenn es sehr oft an Englischkenntnissen mangelt, wird oft Deutsch und Russisch, welches ich nicht beherrsche, gesprochen.
Die Verordnungen aufgrund von Corona sind dort ziemlich locker. In den Supermärkten und Bussen trägt kaum jemand Maske. Nur in der Metro war Pflicht. Prag ist definitiv eine der schönsten, vielleicht sogar die schönste Stadt, die ich bis zum heutigen Tage besucht habe. Ich würde jeden empfehlen, wenn möglich mal die Goldene Stadt an der Moldau zu besuchen.
Warschau
Am nächsten Morgen ging es zum Flughafen, denn es ging nach Warschau, Hauptstadt von Polen und dem ehemaligen Volkspolen. Ich kam mittags an und das sollte auch der einzige Tag dort sein. Zuerst ging es zu einem sowjetischen Militärfriedhof, viel größer als der in Prag und genau auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt. Bevor ich in die Stadt fuhr, besuchte ich etwas außerhalb die Grabstätte des Genossen Bolesław Bierut, erstes Staatsoberhaupt der Volksrepublik Polen. Er verstarb mysteriöserweise 1956 kurz nach dem XX. Parteitag der KPdSU in Moskau. Diesem großen Kommunisten zollte ich mit 2 Nelken meinen Respekt, die ich am Mausoleum niederlag. Interessant ist, dass Konterrevolutionäre der Solidarność nur einige Meter neben Bierut liegen. In der ganzen Stadt und auch auf den Friedhof waren polnische Flaggen allgegenwärtig.
Im Anschluss besuchte ich das Museum des Warschauer Aufstandes, weil es mir empfohlen wurde. Neben Huldigungen für die polnische Heimatarmee mussten Stalin und die bösen Kommunisten als Sündenböcke für das Scheitern dieses Abenteuers hinhalten. Auch wurde Geschichtsrevisionismus hinsichtlich Stalin und der angeblichen Mitbeteiligung an einer „Aufteilung Polens“ durch die Sowjetunion betrieben, die mit dem mörderischen Überfall der deutschen Faschisten auf Polen verbunden gewesen sein soll. Für weitere Museen blieb leider keine Zeit, da die meisten schon um 18 Uhr schließen, genau wie in Prag.
Ich besuchte noch die Ghetto-Wand, die ziemlich versteckt lag. Anschließend machte ich mich auf dem Weg zum Kultur- und Wissenschaftspalast, der heute mit 237 Metern Höhe das höchste Gebäude des Landes ist. Dieser in den 50ern errichtete Palast war ein Geschenk der Sowjetunion an das polnische Volk. Es gibt eine Aussichtsplattform mit überragenden Panoramablick über Warszawa. Danach ging es die Straße runter zum ehemaligen „Haus der Partei“ wo das ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei ihren Sitz hatte. Heute ist das Gebäude in einer nur als bösartig zu wertender Wendung der Geschichte ein Bank- und Finanzzentrum.
Die letzten Sehenswürdigkeiten, die ich besuchte, waren der Präsidentenpalast und die Altstadt. Zu essen gab es traditionell polnische Pierogi, die definitiv zu empfehlen sind. Die polnische Hauptstadt an der Weichsel ist sicher auch einen Besuch wert. Und damit kam auch meine erste Reise nach Osteuropa zu ihrem Ende. Meines Erachtens nach muss man sich mit der Geschichte, den Errungenschaften, Fehlern und der Niederlage des realexistierenden Sozialismus auseinandersetzen, um es beim nächsten Anlauf besser zu machen. Dabei müssen wir auch auf die Erfahrungen in der ČSSR und VR Polen zugreifen. Ich freue mich schon andere Länder zu bereisen, kennenzulernen und euch davon zu berichten. Danke für eure Aufmerksamkeit!