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Friedrich Engels

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Zum 190. Geburtstag von Friedrich Engels
(1820 – 1895)

engels 150dpiAm 28. November 1820 ist Friedrich Engels, der engste Kampfgefährte von Karl Marx, der Mitbegründer der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse, in Barmen geboren worden. Er ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Menschheit.

Die ganze internationale revolutionäre Arbeiterbewegung steht auf den Schultern des Bundes der Kommunisten und des von Marx und Engels verfaßten „Manifests der Kommunistischen Partei“.

Am 30. Januar 1917 schrieb Lenin aus Zürich an Inés Armand: „Ich habe noch einmal Engels’ ‚Zur Wohnungsfrage’ gelesen. Kennen Sie es? Wunderbar! Ich bin noch immer ‚verliebt’ in Marx und Engels und kann keinerlei Schmähungen gegen sie ruhig hinnehmen. Nein, das sind wirkliche Menschen! Von ihnen muß man lernen! Diesen Boden dürfen wir nicht verlassen. Diesen Boden haben sowohl die Sozialchauvinisten als auch die Kautskyaner verlassen.“ (LW, Briefe, IV/376)

Lenin würdigt Engels also nicht nur als genialen Theoretiker, sondern er nennt ihn voller Begeisterung einen „wirklichen Menschen“. Ich will versuchen, mit wenigen Strichen einige Seiten seiner Persönlichkeit zu umreißen.

Nach Herkunft und Erziehung war es Friedrich Engels nicht bestimmt, ein Vorkämpfer der Arbeiterklasse zu werden. Er war der älteste Sohn eines gut situierten Textilfabrikanten. Dieser zwang ihn 1837, ein Jahr vor dem Abitur, das Elberfelder Gymnasium zu verlassen, offenbar mit dem Hintergedanken, seinem hochbegabten Erstgeborenen den Weg zu den Universitäten oder ins Reich der Literatur abzuschneiden und ihn - wie Engels später zu formulieren pflegte - auf „hündischen Kommerz“ festzulegen. Daß Friedrich Engels sich dann darum bemüht hat, als „Einjährig-Freiwilliger“ seinen Militärdienst in Berlin abzuleisten, war wohl nicht zuletzt darin begründet, sich so - auch ohne Abitur - Zugang zu den Vorlesungen an der dortigen Universität zu verschaffen. Dieses Privileg war mit dem Freiwilligenstatus verbunden. Doch ich will nicht vorgreifen.

Franz Mehring hat über den Heranwachsenden geschrieben, er sei in der Familie eines wohlhabenden Bourgeois „von konservativer und orthodoxer Gesinnung“ aufgewachsen und „in religiöser Beziehung“ habe der junge Friedrich „mehr zu überwinden gehabt als Marx“. (Karl Marx. Geschichte seines Lebens. In: Franz Mehring: Gesammelte Schriften. Bd. 3, Berlin 1964, S. 95) Hier möchte ich kurz verweilen, denn da – so meine ich – ist dem von mir sehr verehrten Franz Mehring, wenn wir nicht nur den engeren Familienkreis, sondern das ganze soziale Umfeld ins Auge fassen, eine Verharmlosung eines sich über Jahre erstreckenden qualvollen Prozesses der Loslösung aus einem spießig-trostlosen Milieu und von der Religion unterlaufen.

Barmen und Elberfeld in jener Zeit, ein Jahrzehnt vor der Revolution von 1848, sind Hochburgen des Pietismus. Freilich ist zu beachten: Das Rheinland ist damals die kapitalistisch am weitesten vorangeschrittene Region in Deutschland und Bourgeois wie der Vater sind vergleichsweise weltläufig. In der Zweigfirma Ermen & Engels im britischen Manchester hat Friedrich später in der Emigration als Kaufmann lange Zeit - wenn auch mit Widerwillen -  für sich und auch für die Familie Marx Geld verdient.

Doch da ist andererseits der Pietismus. Flucht aus der Wirklichkeit in „ideale Regionen“ nach dem Grauen des Dreißigjährigen Krieges war ursprünglich das  Markenzeichen einer protestantischen Auflehnung gegen die erstarrte Orthodoxie gewesen. Doch schon lange war die „pietas“, was deutsch nichts anderes als „Frömmigkeit“ heißt, zu engstirniger und hochmütiger Frömmelei verkommen, zu Muckertum, Devotion, Verachtung der Wissenschaft und des „sündhaften weltlichen Lebens“. Dieser Atmosphäre kann der junge Friedrich Engels jahrelang nicht entfliehen. Seine Schul- und Brieffreunde studieren schließlich Theologie und werden als pietistisch orientierte Pastoren ihren Weg gehen.

Auch der 16-jährige Friedrich Engels dichtet noch voll Inbrunst:

Herr Jesu Christe, Gottes Sohn,
o steig herab von Deinem Thron,
und rette meine Seele!

(MEW, Ergänzungsband. Schriften bis 1844. Zweiter Teil, S.508)

Zwei Jahre später versucht er sich immerhin an einer Satire zu den Auswüchsen der unerträglichen Frömmelei. Er verfaßt die

Liebeserklärung eines Pietisten

Ehrbare Jungfrau! Ich, nach viel und schwerem Ringen
Gegen die Lust der Welt, die gegen mich tat dringen,
Komm ich mit dem Gesuch, ob sie mich wollte nicht
Nehmen zu ihrem Mann, in Ehrbarkeit und Pflicht.
Zwar liebe ich sie nicht, das wär’ zu viel verlanget,
Ich lieb in ihr den Herrn, der –

Hier bricht er ab und schreibt, „nein, es geht nicht, man kann so was nicht satirisieren, ohne das Heiligste mit in diesen Kreis zu ziehen, wohinter sich dieses Volk versteckt. Ich möchte einmal eine solche Ehe sehen, wo der Mann nicht seine Frau, sondern Christum in seiner Frau liebt, und liegt da die Frage nicht auf der Hand, ob er auch Christum in seiner Frau beschläft? … Diese Kerls rühmen sich noch obendrein, die wahre Lehre zu haben, und verdammen jeden, der nicht etwa an der Bibel zweifelt, sondern sie anders auslegt als sie.“ (Ebenda, S.363)

Auch jetzt noch finden wir von Atheismus bei Engels keine Spur, aber er fordert nun immerhin in seinen Briefen, religiöse Auslegungen müßten doch auch mit der Vernunft im Einklang stehen. Erst 1841, mit dem Erscheinen von Feuerbachs „Wesen des Christentums“ war es dann so weit. Feuerbach war sofort in aller Munde. „Die Eltern verfluchen und verwünschen, die Söhne und Töchter bewundern und lieben ihn“, schrieb Fritz Kapp, ein junger Freund Feuerbachs. (Grün, Feuerbach. I/867)

„Mit einem Schlag“, so Friedrich Engels über dieses Buch, „zerstäubte es den Widerspruch, indem es den Materialismus ohne Umschweife wieder auf den Thron erhob. Die Natur existiert unabhängig von aller Philosophie; sie ist die Grundlage, auf der wir Menschen, selbst Naturprodukte, erwachsen sind; außer der Natur und den Menschen existiert nichts, und die höhern Wesen, die unsere religiöse Phantasie erschuf, sind nur die phantastischen Rückspiegelungen unsers eigenen Wesens, Der Bann war gebrochen; das ‚System’ war gesprengt und beiseite geworfen, der Widerspruch war, als nur in der Einbildung vorhanden, aufgelöst. – Man muß die befreiende Wirkung dieses Buches selbst erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Die Begeisterung war allgemein: Wir waren alle momentan Feuerbachianer.“ (MEW, 21/272) Der Marsch zu dem über Feuerbach schließlich weit hinausführenden dialektischen und historischen Materialismus konnte endgültig beginnen.

Sind das nicht alte Kamellen, auf die ich soeben eingegangen bin? Offenkundig nicht! Denn wir haben im Darwin-Jubiläumsjahr erlebt, wie „Evangelikale“ oder „Kreationisten“– nicht nur in den USA - mobil machen. Da konnte man beispielsweise im Fernsehen erleben, wie in einem stark frequentierten amerikanischen Museum allen Ernstes „dokumentiert“ wird, daß Gott vor wenig mehr als sechstausend Jahren Menschen und Dinosaurier gleichzeitig aus dem Nichts erschuf. Man sieht mit Schrecken ganz normal aussehende junge Menschen leuchtenden Auges vor der Kamera erklären, wie glücklich sie seien, nunmehr die „Beweise“ für die buchstäbliche Richtigkeit der Schöpfungsgeschichte der Bibel und die „endgültige Widerlegung“ aller „Lügen der Evolutionstheorie“ gesehen zu haben. In Zeiten kapitalistischer Krisen sind religiöse Fanatiker unterschiedlichster Spielart auf dem Vormarsch und wir sollten daraus erwachsende Gefahren nicht unterschätzen.

Friedrich Engels ist also in einer zuerst bleiernen und in der Folge stürmischen Zeit groß geworden. Er wurde ein Revolutionär, vorübergehend auf dem äußersten linken Flügel der bürgerlichen Demokratie, und dann im Zentrum der sich entwickelnden revolutionären Arbeiterbewegung, die wesentlich durch ihn zur Erkenntnis der eigenen realen Lage und der welthistorischen Mission ihrer Klasse gelangte. Der Kampf war sein Element, die Revolution sein wirklicher Lebensberuf, und gerade seine unbeirrbare revolutionäre Haltung befähigte ihn, auch in Zeiten schwerer Rückschläge stets konsequent Kurs zu halten. Ich hebe das hervor, weil diese Haltung auch für die Entwicklung der Theorie von größter Bedeutung war. Denn es verhielt sich ja nicht so, daß Karl Marx und Friedrich Engels gewissermaßen auf einen Schlag alle entscheidenden Erkenntnisse der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse gewannen. Diese größte Umwälzung im Denken der Menschheit vollzog sich als Prozeß. Es zeigte sich dabei, daß der konsequente revolutionäre Standpunkt der Begründer des Marxismus auch die Seele ihres theoretischen Schaffens bildete. Das scheint mir gerade gegenwärtig eine wichtige Lehre für die Lösung unserer heutigen Aufgaben zu sein: Man ist auf dem Felde der Theorie nur fruchtbar, wenn das eigene Denken, Sinnen und Trachten stets auf die Veränderung der Welt gerichtet ist.

Gerade deshalb war Friedrich Engels ein lebensbejahender, mehr noch, ein lebenssprühender Mensch, voller Humor und begabt mit einer spitzen Feder. Er verstand es, zu polemisieren und den Feind bloßzustellen wie kaum ein anderer.

Schauen wir auf den jungen Engels im Jahr 1847: Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit seinen „Umrissen der Kritik der Nationalökonomie“ Marx’ Blick auf die letztlich entscheidende ökonomische Sphäre der Gesellschaft gelenkt und gemeinsam mit ihm die „Heilige Familie“ verfaßt. Danach war sein Werk über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ entstanden und – wiederum gemeinsam mit Marx – schrieb er das umfangreiche Manuskript der „Deutschen Ideologie“. Er hatte also mit seinem Freunde die Grundlagen der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse ausgearbeitet. Diese Leistungen allein hätten schon ein ganzes reiches Leben ausfüllen können. Doch Engels und Marx waren voller Tatendrang, und nichts haßten sie so sehr wie Stillstand. Deshalb begnügten sie sich nicht etwa damit, ihre Erkenntnisse der so genannten „gelehrten Welt“ mitzuteilen, sondern sie nahmen sofort den Kampf um die Vereinigung des wissenschaftlichen Sozialismus mit der Arbeiterbewegung auf. Mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft gingen sie daran, die erste revolutionäre Partei der Arbeiterklasse zu schaffen. In diesem Zusammenhang will ich anmerken, daß damals, noch vor der Umwandlung des  Bundes der Gerechten in den Bund der Kommunisten, die systematische marxistische Schulungsarbeit begonnen hat. Marx hielt im Brüsseler Arbeiterbildungsverein seine berühmten Vorlesungen über „Lohnarbeit und Kapital“, und Friedrich Engels war nach Paris entsandt worden, um die dortigen Gemeinden des Bundes der Gerechten für die wissenschaftliche Weltanschauung zu gewinnen. Vergessen wir also nicht, daß uns die Klassiker bei all unseren heutigen Bemühungen auf dem Felde marxistischer Bildungsarbeit über die Schulter schauen.

Es macht Freude, Engels’ Briefe aus jener Zeit zu lesen. Am 9. März 1847 schreibt er an Marx, nachdem er zunächst sorgfältig - wie man es später formuliert hätte - seinen Parteiauftrag abgerechnet hat, folgendes: „Du mußt platterdings mal wieder aus … Brüssel weg nach Paris, und das Verlangen, etwas mit Dir zu kneipen, ist auch meinerseits sehr groß.“ Und weiter, mit jugendlichem Überschwang: „Wenn die Französinnen nicht wären, wär’ das Leben überhaupt nicht der Mühe wert.“ Das hindere nicht, „daß man nicht gern einmal über einen ordentlichen Gegenstand spricht oder das Leben etwas mit Raffinement genießt, und beides ist mit der ganzen Bande meiner Bekannten nicht möglich. Du mußt herkommen.“ (MEW, 27/80)

Harte Arbeit, unstillbarer Wissensdrang, die Fähigkeit zu subtilstem und streng auf das Ziel ausgerichtetem theoretischem Denken, strikte Erfüllung der Pflichten eines Parteimitglieds, Freude an gutem Essen und kräftigem Trunk, an einer Liebschaft und - wie wir noch sehen werden - tiefe und zärtliche Liebe zu der Frau seines Lebens - das alles sind Seiten der Persönlichkeit von Friedrich Engels. Keine davon darf gestrichen werden. So war der Mann, der gemeinsam mit Marx das „Manifest der Kommunistischen Partei“ schuf, das um die ganze Welt ging, jene Schrift, die auch heute ungebrochene Hoffnung und Zukunftsgewißheit ausstrahlt.

Unvergleichlich war die Freundschaft, die Engels mit Marx verband. Er selbst hat nach Marx’ Tod nobel immer wieder betont, der Freund sei der Größere gewesen. Bescheiden hat er seine eigene Leistung bewertet. Doch jeder, der den Briefwechsel von Marx und Engels liest, weiß es besser. Engels war in diesem Duo keineswegs nur „die zweite Geige“. Karl Marx hat wiederholt darauf verwiesen, Engels sei beim Aufgreifen neuer Fragen, zum Beispiel brandheißer Erkenntnisse der Naturwissenschaften, schneller als er. Es ist offenkundig, daß sie nur gemeinsam mit ihren großen Talenten - Engels unter anderem mit seiner überragenden Sprachbegabung - das gewaltige Werk der Umwälzung sämtlicher überkommener Ideen und der Verankerung des Marxismus in der revolutionären Arbeiterbewegung vollbringen konnten.

An zwei gewichtigen Beispielen möchte ich das verdeutlichen. Es handelt sich einerseits um die Rezeption des bahnbrechenden Werkes von Charles Darwin über „Die Entstehung der Arten und die natürliche Zuchtwahl“, also um die Begründung der Evolutionstheorie, die im „Darwin-Jahr“ 2009, aus Anlaß seines 200. Geburtstags, Gegenstand zahlreicher Buchpublikationen und Fernsehsendungen war. Andererseits geht es um Lewis Henry Morgans Forschungen über die Urgesellschaft am Beispiel nordamerikanischer Indianer, die Engels’ „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ zugrunde liegen.

Beginnen wir mit Darwin: Dessen Werk „On the origin of species …“ erschien am 24. November 1859 in London. Schon 16 Tage danach schreibt Engels an Marx: „Übrigens ist der Darwin, den ich jetzt grade lese ganz famos. Die Teleologie war nach einer Seite hin noch nicht kaputt gemacht, das ist jetzt geschehn. Dazu ist bisher noch nie ein so großartiger Versuch gemacht worden, historische Entwicklung in der Natur nachzuweisen, und am wenigsten mit solchem Glück.“ (MEW, 29/524) Die Bedeutung dieser Leistung hat Engels am Grabe von Marx hervorgehoben wo er betonte, wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so habe Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte enthüllt. (MEW, 19/335)

Marx ist nun allerdings erst mehr als ein Jahr später als Friedrich Engels dazu gekommen, Darwins Werk zu lesen. (MEW, 30/131) Wiederum sechs Monate später schreibt er dann an Engels, es sei „merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluß neuer Märkte, ‚Erfindungen’ und Malthussschem ‚Kampf ums Dasein’ wiedererkennt. Es ist Hobbes’ bellum omnium contra omnes (der Krieg aller gegen alle), und es erinnert an Hegel in der ‚Phänomenologie’, wo die bürgerliche Gesellschaft als ‚geistiges Tierreich’, während bei Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert.“ (MEW, 30/249)

Die kritische marxistische Verarbeitung der Erkenntnisse Darwins in öffentlich zugänglichen Schriften ist jedoch allein Engels’ Leistung. In der Einleitung zur „Dialektik der Natur“ zieht er den humanistischen Schluß aus Darwins Erkenntnissen über den Kampf ums Dasein: „Erst eine bewußte Organisation der gesellschaftlichen Produktion, in der planmäßig produziert und verteilt wird, kann die Menschen ebenso in gesellschaftlicher Beziehung aus der übrigen Tierwelt herausheben, wie dies die Produktion überhaupt für die Menschen in spezifischer Beziehung getan hat. Die geschichtliche Entwicklung macht eine solche Organisation täglich unumgänglicher, aber auch täglich möglicher. Von ihr wird eine neue Geschichtsepoche datieren, in der die Menschen selbst, und mit ihnen alle Zweige der Tätigkeit, namentlich auch die Naturwissenschaft, einen Aufschwung nehmen werden, der alles Bisherige in tiefen Schatten stellt.“ (MEW, 20/324)

Und es ist ebenfalls Engels’ Leistung, aus Darwins Erkenntnissen entscheidende Schlußfolgerungen für die Ausformung der materialistischen Dialektik abzuleiten. Das betrifft insbesondere die Entschlüsselung des Verhältnisses von Notwendigkeit und Zufall. „Darwin, in seinem epochemachenden Werk“, heißt es bei Engels, „geht aus von der breitesten vorgefundnen Grundlage der Zufälligkeit. Es sind grade die unendlichen zufälligen Verschiedenheiten der Individuen innerhalb der einzelnen Arten, Verschiedenheiten, die sich bis zur Durchbrechung des Artcharakters steigern und deren selbst nächste Ursachen nur in den wenigsten Fällen nachweisbar sind, die ihn zwingen, die bisherige Grundlage aller Gesetzmäßigkeit in der Biologie, den Artbegriff in seiner bisherigen metaphysischen Starrheit und Unveränderlichkeit, in Frage zu stellen.“ (MEW, 20/489)

Wie verhielt es sich dagegen mit dem Werk Morgans. Hier wird jedermann zunächst annehmen, allein Engels habe es erschlossen, denn sein „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ mit dem Untertitel „Im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen“ sei ja bekanntlich erst nach Marx’ Ableben geschrieben worden. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Engels betont im Vorwort zur ersten Auflage des Buches: „Die nachfolgenden Kapitel bilden gewissermaßen die Vollführung eines Vermächtnisses. Es war kein Geringerer als Karl Marx, der sich vorbehalten hatte, die Resultate der Morganschen Forschungen im Zusammenhang mit seiner - ich darf innerhalb gewisser Grenzen sagen unsrer - materialistischen Geschichtsuntersuchung darzustellen und dadurch erst ihre ganze Bedeutung klarzumachen.“ Und wiederum sehr vornehm untertreibend: „Meine Arbeit kann nur einen geringen Ersatz bieten für das, was meinem verstorbenen Freunde zu tun nicht mehr vergönnt war. Doch liegen mir in seinen ausführlichen Auszügen aus Morgan kritische Anmerkungen vor, die ich hier wiedergebe, soweit es irgend angeht.“ (MEW, 21/27)

In der Tat gab zu diesem Werk ein umfangreicher Konspekt von Karl Marx aus den Jahren 1880 und 1881 den Anstoß. Doch schmälert das Engels’ Leistung, steht etwa zu Unrecht sein Name auf dem Titelblatt dieses Buches? Erklärte und niederträchtige Gegner oder ausgemachte Dummköpfe entstellen die Schaffensgemeinschaft von Karl Marx und Friedrich Engels. Sie fälschen also bewußt oder sie begreifen nicht, was für eine wunderbare und in der Geschichte nahezu beispiellose Freundschaft und Schaffensgemeinschaft beide verband.

In dieser lebenslangen Freundschaft hat es nur ein einziges Mal einen kritischen Punkt gegeben. Am 7. Januar 1863 teilt Engels in wenigen Sätzen mit, daß seine Lebensgefährtin, die irische Arbeiterin Mary Burns, verstorben war: „Lieber Mohr, Mary ist tot … Ich kann Dir gar nicht sagen, wie mir zumute ist. Das arme Mädchen hat mich mit ihrem ganzen Herzen geliebt.“ (MEW, 30/309)

Dieser Brief wirkt, wenn man die sachlichen Debatten und humorvollen Passagen in den Schreiben der Monate zuvor daneben legt, wie der Schlag mit einem Beil. Engels ist tief erschüttert und tagelang wie betäubt. Und fatalerweise findet Marx, der durch Krankheit und bittere Armut regelrecht erdrückt wird, in seinem Antwortschreiben nicht den Ton, seinen eigenen Gefühlen richtig Ausdruck zu verleihen. Sofort wird ihm aber bewußt, was er angerichtet hat. Er kämpft nun regelrecht darum, seinen Fehler auszuräumen. Schließlich antwortet Engels: „Lieber Mohr, ich danke Dir für deine Aufrichtigkeit. Du begreifst selbst, welchen Eindruck Dein vorletzter Brief auf mich gemacht hatte. Man kann nicht so lange Jahre mit einem Frauenzimmer zusammenleben, ohne ihren Tod furchtbar zu empfinden. Ich fühlte, wie ich mit ihr das letzte Stück meiner Jugend begrub … Ich sage Dir, der Brief lag mir eine Woche lang im Kopf, ich konnte ihn nicht vergessen. Never mind, Dein letzter Brief macht ihn wett, und ich bin froh, daß ich nicht auch mit der Mary gleichzeitig meinen ältesten und besten Freund verloren habe.“ (MEW, 30/317)

Wirkliche Freundschaft – das können wir bei Marx und Engels lernen – setzt nicht nur Gemeinsamkeit der Auffassungen, sondern immer auch strikte Aufrichtigkeit und pfleglichen Umgang mit diesem kostbaren Gut voraus.

Engels und Marx arbeiteten also gemeinsam, und zwar in einem solchen Grade, daß in vielen ihrer Werke, unabhängig davon, wessen Name schließlich auf dem Titelblatt stand, ihr jeweiliger Anteil gar nicht genau auszuweisen ist. Das gilt vor allem für die Artikel in der „Neuen Rheinischen Zeitung“, aber ebenso auch für viele historische und militärhistorische Schriften, die Engels für Marx verfaßt hat, um dessen Familie durch Zeitungs- und Zeitschriftenhonorare vor blankem Elend zu bewahren.

Engels war – auch das sei hier vermerkt -  der erste Militärtheoretiker der Arbeiterklasse, ein hervorragender Analytiker von Kampfhandlungen, und er beurteilte mit größter Sachkenntnis Struktur, Bewaffnung und Kampfkraft der Armeen seiner Zeit. Zu Recht trug er unter den Genossen den Beinamen „der General“. In der „Reichsverfassungskampagne“ während der Revolution von 1848/1849 hatte er mit Säbel und Gewehr gegen die Truppen der Konterrevolution gestanden, und seine Hoffnung versiegte nie, in einer sozialistischen Revolution in Deutschland an der Spitze bewaffneter Kräfte der Arbeiterklasse zu stehen. Er war ein leidenschaftlicher Reiter, und seine Schilderungen, wie er bei der Fuchsjagd sieben Stunden im Sattel zugebracht habe, verband er mit der Anmerkung, er wolle doch am Tage der Revolution der preußischen Kavallerie etwas vorreiten.

Engels war, ebenso wie Marx, Vertrauensmann und gesuchter Ratgeber der internationalen Arbeiterbewegung, so als korrespondierender Sekretär der I. Internationale für ein Dutzend Länder, und nach Marx’ Tod 1883 war er für die meisten Führer der sich entwickelnden Arbeiterparteien schlechthin der Marxist, dessen Beurteilung theoretischer und politischer Fragen schwerer wog als die irgendeines anderen Zeitgenossen. Engels - das soll hier betont werden - ist geradezu ein lebendiges Standbild der internationalen Solidarität. Er half, wo er konnte, um das oft sehr harte Los von Mitkämpfern zu mildern, und er war ein aufmerksamer, mit feinem Gehör für die Sorgen und Probleme der Genossen begabter Zuhörer.

Bekannt ist Engels’ Verdienst um die Bearbeitung und Herausgabe des Zweiten und des Dritten Bandes des „Kapitals“ von Karl Marx. Aber auch als Propagandist des Marxschen Hauptwerkes und als entschlossener Verteidiger seines zu früh verstorbenen Freundes gegen alle Verleumdungen und Entstellungen hat er sich unvergängliche Verdienste erworben.

Entscheidenden Anteil hatte Friedrich Engels an der Ausarbeitung der marxistischen Lehre von der Partei, und seine Schriften belegen eindrucksvoll die Kontinuität der marxistisch-leninistischen Parteiauffassung, die ja von imperialistischen und opportunistischen Ideologen aller Schattierungen mit großer Hartnäckigkeit in Abrede gestellt wird, weil sie gut wissen, daß es hierbei um den Dreh- und Angelpunkt der Theorie und Praxis der revolutionären Arbeiterbewegung geht.

Unvorstellbar wäre die Entwicklung und Ausprägung der marxistischen Philosophie, vor allem der materialistischen Dialektik, ohne solche Engelschen Werke wie „Anti-Dühring“, „Dialektik der Natur“ oder seine Arbeit „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“.

Als Historiker darf ich natürlich nicht unerwähnt lassen: Die Geschichtswissenschaft steht auf seinen Schultern. „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ ist auch hier zuvörderst zu nennen. Doch es ist müßig, alle Titel seiner historischen Arbeiten aufzählen zu wollen, denn - wo anfangen und wo aufhören?

Angesichts der gegenwärtigen „Reformierung“ der Bundeswehr sollte man aber seine zeitgeschichtliche Analyse „Kann Europa abrüsten?“ aus dem Jahre 1893 zur Hand nehmen, in der es heißt, „daß vom rein militärischen Standpunkt der allmählichen Abschaffung der stehenden Heere absolut nichts im Wege steht; und daß, wenn trotzdem diese Heere aufrechterhalten werden, dies nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen geschieht, daß also mit einem Wort die Armeen schützen sollen nicht so sehr gegen den äußern wie gegen den innern Feind“. (MEW, 22/371)

Ebenfalls aus aktuellem Anlaß, vor dem Hintergrund der sich überschlagenden Anti-DDR-Hetze zum 20. Jahrestag ihrer Einvernahme durch die BRD, möchte ich auf seine Artikelserie „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“, geschrieben von August 1851 bis September 1852 für die „New-York Daily Tribune“ und dort unter Marx’ Namen veröffentlicht, verweisen. Hier heißt es im einleitenden Kapitel: „Eine schwerere Niederlage als die, welche die Revolutionspartei – oder besser die Revolutionsparteien - auf dem Kontinent an allen Punkten der Kampflinie erlitten, ist kaum vorstellbar. Doch was will das besagen? … Die Zeiten jenes Aberglaubens, der Revolutionen auf die Bösartigkeit einer Handvoll Agitatoren zurückführt, sind längst vorüber. Alle Welt weiß heute, daß jeder revolutionären Erschütterung ein gesellschaftliches Bedürfnis zugrunde liegen muß, dessen Befriedigung durch überlebte Einrichtungen verhindert wird. Das Bedürfnis mag noch nicht so dringend, so allgemein empfunden werden, um einen unmittelbaren Erfolg zu sichern; aber jeder Versuch einer gewaltsamen Unterdrückung wird es nur immer stärker hervortreten lassen, bis es seine Fesseln zerbricht. Sind wir also einmal geschlagen, so haben wir nichts anderes zu tun, als wieder von vorn anzufangen… wenn man aber nach den Ursachen der Erfolge der Konterrevolution forscht, so erhält man von allen Seiten die bequeme Antwort, Herr X oder Bürger Y habe das Volk ‚verraten’. Diese Antwort mag zutreffen oder auch nicht, je nach den Umständen, aber unter keinen Umständen erklärt sie auch nur das Geringste, ja sie macht nicht einmal verständlich, wie es kam, daß das ‚Volk’ sich derart verraten ließ. Und wie jämmerlich sind die Aussichten einer politischen Partei, deren ganzes politisches Inventar in der Kenntnis der einen Tatsache besteht, daß dem Bürger Soundso nicht zu trauen ist.“ (MEW, 8/5 f.)

Das dreizehnte Kapitel dieser Schrift über „Die preußische konstituierende Versammlung“ und „Die Frankfurter Nationalversammlung“ ist meines Erachtens für die Betrachtung der Abläufe 1989/90 ebenfalls von Interesse. „Für die preußische Revolution“, heißt es dort, „war nun aber im November 1848 der entscheidende Augenblick gekommen; die Versammlung, die offiziell an der Spitze der ganzen revolutionären Bewegung stand, bot dem Feind jedoch nicht die Stirn, sondern wich bei jedem feindlichen Vorstoß zurück; noch weniger ging sie zum Angriff über - zog sie doch vor, sich nicht einmal zu verteidigen; und als der entscheidende Augenblick gekommen, als Wrangel an der Spitze von 40000 Mann an die Tore Berlins pochte, da fand er nicht jede Straße mit Barrikaden verrammelt, jedes Fenster in eine Schießscharte verwandelt, wie er und seine Offiziere bestimmt erwartet hatten, sondern er fand die Tore offen und auf den Straßen als einziges Hindernis friedliche Berliner Bürger, die sich köstlich über den Streich belustigten, den sie Wrangel dadurch gespielt, daß sie sich, an Händen und Füßen gebunden, den erstaunten Soldaten auslieferten … Eine Niederlage nach schwerem Kampf ist eine Tatsache von ebenso großer Bedeutung wie ein leicht errungener Sieg … Bei jedem Kampf ist es selbstverständlich, daß derjenige, der den Handschuh aufnimmt, Gefahr läuft, geschlagen zu werden; aber ist das ein Grund, sich geschlagen zu geben und das Joch auf sich zu nehmen, ohne das Schwert gezogen zu haben?

Wer in einer Revolution eine entscheidende Stellung befehligt und sie dem Feind übergibt, statt ihn zu zwingen, einen Sturm auf sie zu wagen, verdient unter allen Umständen, als Verräter behandelt zu werden.“ (Ebenda, S. 77 f.)

Friedrich Engels hat nach Marx’ Tod noch zwölf Jahre gelebt, bis an die Schwelle einer neuen geschichtlichen Epoche. Wesentliche Aspekte des sich abzeichnenden Übergangs vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus mit den sich daraus ergebenden weitreichenden Konsequenzen für die Kampfbedingungen an allen Fronten der Klassenauseinandersetzung hat er theoretisch erfaßt. Das betrifft, neben der Lehre von der Partei, die Revolutionstheorie, die Bündnisfrage und viele andere wichtige Themen. Wenn man seine späten Arbeiten und Briefe liest, ist man oft verblüfft, was Engels an weit in die Zukunft weisenden Erkenntnissen bereits formuliert hat.

Wir wissen aus jahrzehntelanger Erfahrung ideologischen Streits, daß jede Gegenüberstellung von Marx, Engels und Lenin auf nichts anderes hinausläuft, als darauf, den Marxismus-Leninismus seiner revolutionären Seele zu berauben. Deshalb ist es unsere ständige Pflicht, anhand der Werke der Klassiker solche Fälschungen zu widerlegen.

Will man Friedrich Engels’ Leistung würdigen, so folge man vor allem dem Grundsatz: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht! Engels, der so gerne noch einen Blick ins 20. Jahrhundert geworfen hätte, war es nicht vergönnt, eine siegreiche sozialistische Revolution mitzuerleben. Erlebt hat er aber 1893 auf seiner Reise durch mehrere europäische Länder eine triumphale Heerschau der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung. Tief bewegt bedauerte er nur, daß Karl Marx nicht mehr neben ihm stehen und diese gewaltige Machtdemonstration nicht miterleben konnte. In der Einleitung zu Marx’ „Klassenkämpfen in Frankreich“ von 1895 zog er voller Siegesgewißheit das Fazit: „Selbstverständlich verzichten unsere ausländischen Genossen nicht auf ihr Recht auf Revolution. Das Recht auf Revolution ist ja überhaupt das einzige wirklich ‚historische Recht’, das einzige, worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen.“ (MEW, 22/524)

Genossen! Ich hoffe, daß es mir vergönnt war, wenigstens in Umrissen ein Bild dieses großen Menschen zu zeichnen. Wer nach Leitlinien für sein Leben sucht, nach einem Vorbild für eigenes Sinnen und Trachten, dem soll man ohne Zaudern Friedrich Engels ins Herz pflanzen. Dieser „wirkliche Mensch“ wird ihn darin bestärken, mit Entschlossenheit die Herausforderungen unserer komplizierten Zeiten anzunehmen und sie in seinem Sinne, im Sinne der Arbeiterklasse, zu bestehen. Bei Engels befindet er sich - zumal wenn er noch jung ist - in den besten Händen.

Ausländische Genossen werden es uns gewiß nicht verübeln, wenn wir stolz darauf sind, daß Friedrich Engels und Karl Marx Deutsche waren. Denn für wen, wenn nicht für sie, treffen die ersten Sätze des aus Engels’ Feder stammenden Buches „Der deutsche Bauernkrieg“ wohl so genau zu: „Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, … mit Ideen und Plänen schwanger (ging), vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschaudern.“ (MEW, 7/329)

Götz Dieckmann

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