Überlastete Krankenhäuser: Schuld ist nicht Corona, sondern die schlechte Bezahlung der Pflegekräfte

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Kategorie: Hessen
Veröffentlicht am Dienstag, 30. November 2021 13:56
Geschrieben von LO Hessen
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von Dagmar Henn, übernommen via RT Deutsch am 13. November 2021

(Dieser Artikel entspicht nicht der Position der gesamten Partei. Die KPD LO Hessen möchte mit der Veröffentlichung dieses Artikels die Diskussion befördern.)

Jetzt sind wir also wieder mal so weit. Allerorts wird das Geschrei erhoben, die Krankenhäuser würden überlastet, und im Gefolge werden sogleich weitere Einschnitte in das Alltagsleben der Bundesdeutschen erwogen und verhängt.

Man möchte ja gar nicht mehr wiederholen, dass sich eine Belegung von über 80 Prozent bei Intensivbetten nicht skandalisieren lässt, weil 80 Prozent die übliche betriebswirtschaftliche Vorgabe sind und Klinken mit niedrigerer Auslastung Verluste machen. Oder die ganze Nummer mit dem Bettenabbau in den letzten zwei Jahren, und den Manipulationen bei den Abrechnungen. Egal, wie oft man diese Fakten wiederholt, sie werden vom Mainstream tapfer ignoriert.

Aber schauen wir doch mal auf einen anderen Punkt. Ein konkretes Beispiel: München. Dort wird gerade überall 2G eingeführt, weil die Intensivbetten der Stadt voll seien, so die Aussage des Oberbürgermeisters Dieter Reiter. Und er sagt ebenso, es fehle nicht an Intensivbetten oder sonstiger Ausstattung, sondern – an Personal.

Und da landen wir sofort beim absoluten Tabu in deutschen Medien, der Entlohnung. Das Thema gibt es übrigens auch in anderer Version, bei Lkw-Fahrern beispielsweise, von denen ebenfalls einige Zehntausend fehlen in dieser Republik. Das würde sich bei angemessener Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen ändern. In Großbritannien werden teilweise schon 5.000 Pfund im Monat geboten. Das ist mehr als das Doppelte des in Deutschland üblichen Entgelts. Dort scheint es zu gehen, auf einen Mangel so zu reagieren, wie das eigentlich auch unter kapitalistischen Bedingungen normal wäre. Wenn eine Ware schwerer zu haben ist, steigt ihr Preis, das gilt normalerweise auch für die Ware Arbeitskraft.

Aber zurück zu den Kliniken. In München war das Problem absehbar, und zwar nicht seit Wochen oder Monaten, sondern seit Jahren. Schon im vergangenen Jahrzehnt standen in der Schwabinger Klinik ganze Stationen still, weil es kein Pflegepersonal gab. Und warum nicht? Weil es in diesem Beruf bundesweit einen Mangel gibt, die Bezahlung sich nicht signifikant unterscheidet, es aber in anderen Städten möglich ist, von dieser Bezahlung einigermaßen zu leben; dank der berüchtigten Münchner Mieten in München allerdings nicht. Also gehen die Leute woandershin, wer sollte ihnen das verdenken.

Man muss nicht allzu scharf denken können, um zu erkennen, dass eine solche Lage langfristig massive Probleme auslöst. In allen Berufen, deren Bezahlung nicht mit der Mietbelastung Schritt hält, entsteht Mangel. Da fehlen dann eben die Pflegekräfte, die Erzieherinnen, die Busfahrer, die Müllmänner. Dumm nur, dass eine Stadt auf all diese Tätigkeiten angewiesen ist, um zu funktionieren, und eine Störung in einem dieser Bereiche sich andernorts auswirkt. Bei den Erzieherinnen beispielsweise können Kinder nicht betreut werden, also fallen Mütter als Arbeitskräfte aus. Bei einem Mangel an Pflegekräften sind dann Menschen länger krank, denn die vorhandenen Pflegekräfte werden dann dorthin geschoben, wo Behandlungen akut unabwendbar sind, und alles, was planbar ist, fällt hinten runter. Das ist volkswirtschaftlicher Blödsinn, weil die dadurch ausgelösten Verluste höher sind als das, was an Gehältern eingespart wird, hat aber unter anderem die Konsequenz, wenn man alles betriebswirtschaftlich steuert und außerdem das deutsche Tabu aufrechterhalten will: nur keine höheren Löhne.

Wobei das im Falle von München nicht ganz stimmt, es gibt eine München-Zulage; aber diese 135 Euro im Monat machen das Kraut nicht fett. Die durchschnittliche Miete liegt inzwischen über 20 Euro pro Quadratmeter. Der Tarifvertrag für die Pflegekräfte in öffentlichen Krankenhäusern ist allerdings bundeseinheitlich. Was ja kein Problem sein müsste, denn ein Tarifvertrag ist eine Unter-, keine Obergrenze. Aber in diesem Land gilt es geradezu als unmoralisch, besser zu bezahlen. Kommunen dürfen, ja sollen miteinander in den Wettbewerb treten, um sich bei Gewerbesteuersätzen zu unterbieten, aber keinesfalls, indem sie Personal besser entlohnen. Da gilt dann plötzlich das Argument, dass ärmere Kommunen dann niemanden mehr finden….

Es ist ja nicht so, dass man nicht wüsste, warum viele Beschäftigte in Pflegeberufen in Deutschland aus dem Beruf aussteigen. Wir reden von Schichtdienst, schwerer körperlicher Belastung, außerdem noch einer (auch das ist der betriebswirtschaftlichen Steuerung und den Abrechnungstechniken der Krankenkassen zu danken) wachsenden bürokratischen Beschäftigung; üblicherweise werden ganze Monate an Überstunden herumgeschoben, die nie abgefeiert werden können; Überlastungsanzeigen, die eigentlich zum Schutz der Kranken geboten wären, werden meist gar nicht erst geschrieben. Wer da aussteigen kann, tut es irgendwann. Der häufigste Anlass dafür ist, weil nach wie vor der Frauenanteil überwiegt, die Geburt des ersten Kindes.

Man weiß ganz genau, an welchen Stellschrauben man drehen müsste, um die Zahl der Berufsaussteiger zu senken. Deutlich bessere Bezahlung und eine höhere Personalausstattung auf den Stationen. In Luxemburg beispielsweise liegt das Gehalt doppelt so hoch, und es sind weit weniger Patienten pro Pflegekraft als in der BRD. Nirgends in der EU ist die geforderte Personalausstattung so niedrig wie bei uns. Das alles weiß man. Und zwar seit vielen Jahren.

Die "Lösung" besteht aber schon lange darin, die vorhandenen Lücken soweit möglich mit Importkräften zu stopfen, die man dann eben dem Gesundheitssystem in Rumänien, der Ukraine oder Mexiko entzieht. Das hat natürlich den Vorteil, dass das andere, üblicherweise ärmere Land die Ausbildungskosten gestemmt hat – und man das deutsche Tabu einhalten kann: nur keine höheren Löhne.

Jetzt wird also wieder voll auf 2G gesetzt und die ersten Lockdowns drohen schon am Horizont, weil die "Kliniken überlastet" sind. Anders formuliert: Der Bevölkerung wird Hausarrest verordnet, weil – ja weil nichts, rein gar nichts in diesem Land undenkbarer ist als höhere Löhne.

Die Politiker, die diese Entscheidungen treffen, sagen es sogar offen. Es fehlt das Pflegepersonal. Sie sagen nur nicht, warum es fehlt, und tun so, als sei das die Folge des Wirkens irgendwelcher Naturkräfte oder ein von unbekannten Göttern verhängtes Übel. Das ist es nicht. Es ist die Konsequenz politischer Dummheit, eines betriebswirtschaftlichen Aberglaubens, der zwei Dinge erbittert ignoriert: dass das Gesundheitswesen, wenn es nicht funktioniert, volkswirtschaftlich beträchtlichen Schaden anrichten kann, mehr, als im Gesundheitswesen selbst an Einsparung (oder, den Wahn privatisierter Klinken darf man nicht vergessen, an Gewinn) überhaupt möglich ist, und dass der Königsweg zu diesen Einsparungen darin liegt, die Löhne des Personals knappzuhalten.

In den bald zwei Jahren, die wir Corona genießen dürfen, gab es keinen einzigen ernsthaften Versuch, die an sich durchaus vorhandenen Ehemaligen wieder zurückzuholen. Keinen ernsthaften Versuch, die Lage des Pflegepersonals grundlegend zu verbessern. Stattdessen wird ganz laut der Gedanke ventiliert, eine Impfpflicht für diese Berufe einzuführen, was die absolute Garantie dafür darstellt, dass sich der vorhandene Mangel weiter verschärft.

Und die Deutschen werden brav ein weiteres Mal in den Hausarrest gehen und sich mit hundert Vorschriften im Alltag zwiebeln lassen. Hauptsache, keine höheren Löhne.