Erklärung von Lagergemeinschaften, Komitees und Interessenverbänden ehemaliger Häftlinge zum 75. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager

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Kategorie: Inland
Veröffentlicht am Dienstag, 28. Januar 2020 17:42
Geschrieben von estro
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Vermächtnis bewahren und weitertragen in Gegenwart und Zukunft

netzwerk lagergemeinschaftVor 75 Jahren wurden die Häftlinge der Konzentrationslager durch Angehörige der sowjetischen, amerikanischen, britischen, französischen und polnischen Streitkräfte befreit. Nach ihrer Befreiung haben die ehemaligen Häftlinge Interessenverbände aufgebaut und deren Arbeit jahrzehntelang maßgeblich mitgestaltet. Sie haben sich in den zurückliegenden 75 Jahren immer wieder getreu dem Schwur von Buchenwald dafür engagiert, eine Wiederkehr des Nazismus und seiner unmenschlichen Verbrechen zu verhindern.

In ihrem Vermächtnis „Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen“vom 25. Januar 2009 erklärten KZ-Überlebende, die die internationalen Komitees von neun Lagern vertraten:

Unsere Reihen lichten sich. In allen Instanzen unserer Verbände, auf nationaler wie internationaler Ebene, treten Menschen an unsere Seite, um die Erinnerung aufzunehmen: Sie geben uns Vertrauen in die Zukunft, sie setzen unsere Arbeit fort. Der Dialog, der mit uns begonnen wurde, muss mit ihnen fortgeführt werden. Für diese Arbeit benötigen sie die Unterstützung von Staat und Gesellschaft. ... Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen. ...“

Wir, die Hinterbliebenen und Angehörigen der ehemaligen Häftlinge, die Freundinnen und Freunde, die Mitstreiterinnen und Mitstreiter, sowie alle bei uns Engagierten, zusammengeschlossen in den vielfältigen Interessengruppen, Komitees, Lagerarbeitsgemeinschaften, Lagergemeinschaften, Verfolgtenverbänden, Initiativgruppen und Freundeskreisen, erklären aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager, dass wir dieses Erbe bereits vor vielen Jahren angetreten haben.
Jetzt, wo nur noch wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unter uns sind, ist es an uns, dass das Vermächtnis weitergetragen wird.

I     Für uns sind Gedenkstätten die authentischen Plätze, wichtige Orte des Gedenkens, Erinnerns und der Mahnung. Sie sind ein integraler Bestandteil der politischen und historischen Bildungsarbeit. Diese Orte dienen der Bewusstseins- und Demokratiebildung.
Deshalb müssen diese Orte, die auch internationale Friedhöfe sind, für die Zukunft erhalten und für ihre Arbeit finanziell ausreichend ausgestattet werden.

II     Wir sind davon überzeugt, dass die Gedenk- und Erinnerungsarbeit ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag ist. Es darf nicht die alleinige Aufgabe von Historikern und Politikern sein, über das Vermächtnis unserer Großeltern, Eltern, unserer Freundinnen und Freunde zu bestimmen. Vielmehr sind es die Nachkommen der Verfolgten des NS-Regimes sowie die Angehörigen der nachfolgenden Generationen, die sich seit vielen Jahrzehnten in den Verbänden engagieren und authentische Erfahrungen der Überlebenden in die Erinnerungsarbeit einbringen.

III     In den zurückliegenden Jahren wurden in der gesamten Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Projekte zur Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Bezug auf die Verbrechen des NS-Regimes initiiert. Viele Schülerinnen und Schüler haben sich, zum Beispiel im Rahmen ihrer Projektwochen, mit der Geschichte ihres Ortes im Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Diese Entwicklung gilt es zu verstetigen und auszubauen.
Daher regen wir an, dass in jedem Bundesland an einer pädagogischen Hochschule ein Lehrstuhl für „Methodik und Didaktik der Erinnerungskultur“ eingerichtet wird, um die Entstehung der Erinnerungskultur an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wissenschaftlich aufzuarbeiten, sie für die Zukunft nachhaltig zu gestalten und die Gedenkstätten, die Schulen sowie die außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung mit universitärer Forschung und Weiterbildung zu unterstützen.

IV     Mit großer Sorge betrachten wir das Erstarken und Etablieren nationalistischer, populistischer und neofaschistischer Kräfte in Deutschland, Europa und in der Welt. Diese Entwicklung begreifen wir als Angriff auf die Demokratie.
Der Grundstock für ein friedliches, solidarisches Europa wurde in den Baracken der deutschen Konzentrationslager gelegt. Dort waren bis zu ihrer Befreiung im Jahr 1945 Menschen aus europäischen und außereuropäischen Staaten unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten. Gemeinsam schworen sie, auf der Grundlage der Menschenrechte für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Völkerverständigung einzutreten.

Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um das Vermächtnis unserer Eltern und Großeltern, unserer Freundinnen und Freunde, unserer Kameradinnen und Kameraden, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und in die Zukunft weiter zutragen.
Wir werden gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern der Häftlings-, Opfer- und Verfolgtenverbände, den jüdischen Gemeinden, der Sinti und Roma, den Zeugen Jehovas, der Schwulen- und Lesbenverbände, der „Euthanasie“- Geschädigten, die seit vielen Jahrzehnten andauernde Arbeit fortsetzen.

Die zentrale Forderung der ehemaligen Häftlinge der Konzentrationslager tragen wir weiter:

Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!

27. Januar 2020

http://www.netzwerk-lagergemeinschaften.de

 

Unterzeichnende Verbände:

Unterstützer:

 

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